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All posts by AndiSmirre

Sao Bento | Dschungel

Der nächste Morgen hielt eine echte Überraschung bereit: Kein Regen mehr und auch der Nebel hatte sich verzogen. Es bot sich ein toller Ausblick auf die Landschaft. Gerade als wir beim Frühstück saßen, wurden wir auch schon wieder abgeholt. Irgendwie machte sich ein ungutes Gefühl breit. Diese Menschen nahmen sich so viel Zeit und investierten Mühe um uns etwas zu bieten und das nur weil jemand mit jemandem verwandt und dann noch jemand über diese Ecke befreundet war. Diesen Menschen jedenfalls schuldeten wir eine Menge Dank für all den Aufwand und die Zeit, sich um uns zu kümmern.

Wir hatten vor, das Stückchen Land nochmal auszukundschaften. Ein aufregender Spaziergang durchs tropische Gelände stand uns bevor. Zunächst machten wir Stopp an der Stelle, wo wir schon 2 Tage zuvor geschaut hatten, aber aufgrund des Nebels nicht allzuviel sehen konnten. Dort bekamen wir einen kleinen Rundgang durch das Anwesen eines Nachbarn geboten. Das hübsche Grundstück hatte einen Teich mit Wasserpumpe, einen Hühnerstall und ein paar kleinere Felder wo Gemüse wuchs. Der schwedisch-stämmige Mann mit einwenig Deutsch-Kenntnissen konnte sich nach eigenen Aussagen komplett selbst versorgen und wohnte in dem kleinen Holzhaus, wo die anderen Anlagen drum herum gebaut waren. Sein Stück Land ließ er von einem engagiert bellenden deutschen Schäferhund bewachen. Weiter unten, nach Abstieg an einem halbwegs befestigten Pfad, gab es einen Bach der hier zu einem kleinen Teich aufgestaut wurde und das Wasser des täglichen Bedarfs über eine Pumpe ins Haus gelang. Im Teich selbst züchtete er mehrere Fische.

Nach einem kleinen Plausch fuhren wir weiter zu einem anderen Nachbarn der direkt an das gesuchte Stück Land angrenzen sollte. Die unglaubliche Hilfsbereitschaft setzte sich dort fort. Der ältere Mann mit deutsch-sprachiger Frau zog auf seinem Land Buchsbäumchen und Palmen. Scheinbar aber nur noch als Hobby oder Nebeneinkommen, denn er erzählte dass der Preis stark verfiel. Er und sein Sohn führten uns durchs wilde Gelände den Hang hinab. Beide in Gummistiefeln, wir uns Turnschuhen oder gar Schlappen. Nach einer Viertelstunde durch einen notdürftig geräumten Urwaldpfad am Hang hinab, erreichten wir eine alte Straße. Diese konnte man nur noch erahnen. Seit Jahrzehnten wurde hier nicht mehr geräumt, Sträucher und Bäume waren sehr dich. Dennoch konnte man die Wegführung noch erkennen.

Die Vegetation hatte sich hier schon sehr viel zurück erobert, an vielen Stellen nagte die Erosion zusätzlich an der damaligen Fahrbahnebene. Asphalt schien hier nie gelegen zu haben und falls es je eine Straße war, war sie nur einspurig, es sei denn, jemand auf der zweiten Spur wäre beim Anblick des Abhangs ein Teufelskerl gewesen. Zweimal kamen wir an ebenen zugängen zu Grundstücken vorbei, die längst zugewachsen waren. Dennoch konnte man die Form einer Rampe noch zweifellos erkennen.

Nach wenigen dutzend Metern entlang der Straße war der Lauf eines Bachs, also auf gesuchtem Grundstück zu vernehmen. Durch die Bäume inmitten wildesten Urwalds konnten wir ihn sogar manchmal sehen und das Wasser schien teilweise parallel zur Straße zu laufen, lag aber unerreichbar 20 Meter unter unserer Position. Etwa 300 Meter liefen wir durch schwieriges Gelände und erreichten einen Punkt, wo man eine etwas freier einsehbare Ebene unter uns sehen konnte. Dort, wo der Bach einen kleinen Knick machte, dort endete unser Marsch. Selbst der Mann der uns führte, wusste nicht so recht wo das gesuchte Stück Land anfing und wo es endet. Wir drehten um und liefen die Straße zurück. Hinter der Stelle wo wir auf die Straße gelangt waren, wurde es streckenweise sehr verwildert. Umgefallene Baumstämme nötigten uns, gebeugt laufen zu müssen. Nach einer Weile aber wurde der Pfad geräumter und die großen Hindernisse blieben aus. Die letzten 150 Meter lief man nur noch über Gras und kleinere Sträucher. Sie mündete in eine Kreuzung, die wir bei der Anfahrt bereits passiert hatten. Unser Dank galt dem alten Mann für seine Zeit, selbstverständlich auch unserem Betreuer und wir führen zurück in die Stadt.

Als wir das Spiel der Holländer noch zuende schauten und anschließend noch in einem Cafe etwas aßen, verabschiedete sich der Tag allmählich. Unser Ausflug nach Sao Bento war eine rundum gelungene Abwechslung mit vielen Eindrücken und Einblicken in die deutsche Parallelgesellschaft, die sich in Brasilien seit der Jahrhundertwende gut hielt. Bei einbrechender Dämmerung verließen wir die Stadt und fuhren nach Joinville. Zum Glück kamen wir kurz vor Feierabend an der Filiale der Mietwagenfirma an und gaben das Auto ab.

Der Reiseplan sah nun die Übernachtung und Fahrt nach Porto Alegre im Überlandbus vor. Wir vertrieben uns einwenig die Zeit am Busbahnhof, bevor eine Durchsage unsere Verbindung zum Einstieg ankündigte.

Also so einen genialen Nachtbus hab ich noch nie gesehen. Die Sitze im unteren Fahrgastbereich ähnelten denen in der Business-Class von Flugzeugen. Den Sitz konnte man sehr, sehr weit nach hinten umlehnen und eine schwenkbare Stütze für die Beine sorgte für eine extrem angenehme Schlafhaltung. In Deutschland sollte man solche Fahrten definitiv einführen, ich würde das Angebot auf jeden Fall annehmen. Sich schlafend und günstig fortzubewegen, sowas haben die Deutschen irgendwie noch nicht raus. Ein Bus, wo man besser als in einem schäbigen Hotel pennt und gleichzeitig ein paar Kilometer macht, dafür muss es doch einen Markt gegenüber Hotels geben..

Sao Bento | Stammtischfest

Am nächsten Morgen besuchten wir das Stammtischfest. Dort stellten die verschiedenen Klubs, Vereine und anderen Organisationen der Stadt einmal im Jahr ihre Pavillons auf, grillten an und sorgen für eine kleine Volksfeststimmung bei europäisch geprägtem Ambiente und Blasmusik wie man es von der Wiesn kennt.

Wir wurden auf mehrere Becher Bier eingeladen und mischten uns unter das fastfreundliche Volk. Immer wieder kam bei den verschiedenen Ständen die Frage auf, ob wir wirklich echte deutsche seien. Auch das Sportliche des aktuellen Turniers kam beim Smalltalk nicht zu kurz. Sogar die Schlachtfestköniginnen ließen sich für Gruppenfotos mit einzelnen von uns Lumpen nicht lumpen. Es gab allerhand europäische Schmankerl: Gewürzgurken, selbst Haxen und Sauerkraut konnte gesichtet werden. Kulinarisches Highlight war aber der brasilianische Rollmops. Wir kamen mit den örtlichen Radiomoderator ins Gespräch, bei dem es jeden Sonntag deutsche Volksmusik zu hören gibt. Ein Stand mit Männern in bayrischer Tracht fiel ebenfalls besonders markant auf.

Leider zog bald Regen auf, sodass wir das Fußballspiel der Brasilianer statt beim örtlichen Public Viewing auf Einladung eines weiteren Bekannten in dessen Haus schauten. Wenig später fing es dann nochmal an, draußen richtig zu schütten und wir wurden, als es langsam aufhörte, nach dem Spiel noch zu einer Besichtigung der Stadt herumgefahren und schauten das späte Spiel am Abend erneut auf Einladung. Nachdem wir uns dann im Hotel etwas frisch machen konnten, wurden wir (erneut auf Einladung) zum Essen abgeholt.

Wir kehrten in einer Pizzeria ein, die es wohl in der Form nicht oft gibt. Ein edles Gebäude als Restaurant, gereicht wurden keine Karten sondern man wurde direkt am Tisch bedient oder konnte sich an einer kleinen Auswahl vom Buffet bedienen. Die Pizzen wurden von einer Anzahl Bedienungen gebracht, die so lange durch den Raum wuselten, bis sie alle ihre Teile an den Mann gebracht hatten. Danach holten sie aus der offen einsehbaren Küche die nächste Pizza. Das Bedienkonzept ist einzigartig. Der große Vorteil ist, dass man als gast nicht lange auf den ersten Bissen warten muss. Die Auswahl war ebenfalls beeindruckend. Von einer scharfen Paprika-Pizza bis Ananas, Eis und Rindfleischbelag, bis zu Schokolade konnte man alles abgreifen, was gerade so mal vorbei gebracht wurde. Wahrscheinlich ist so etwas in Europa aufgrund der Personalkosten gar nicht machbar aber an diesem Abend wusste es trotzdem sehr zu überzeugen. Abgerechnet wurde pro Platz mit all inclusive plus Getränke. Das toll rustikal eingerichtete Haus war sehr ansehnlich, man hatte freien Blick auf den Ofen und alle anderen Gäste durch den großen Innenraum. Dies sorgte für eine offene Atmosphäre und ein kommunikatives Flair. Die Dachkonstruktion wurde von großen Massivholzbalken gestützt und gehalten.

Recife -> Joinville -> Sao Bento

Der Mitternachtsflug brachte uns von dort nach Sao Paulo. Der zurecht schlechteste Flughafen der Welt hielt für uns wenigstens ein paar Bänke zum Schlafen bereit und ich konnte den zweiten Geocache des Landes für mich verbuchen. Ansonsten war der Flughafen echt zu nichts zu gebrauchen und auch das langsame WiFi war heute nicht zufriedenstellend.

So flogen wir nach Joinville weiter. Ein holpriger Flug gen Süden brachte uns in eine atemberaubende Umgebung. Schon beim Anflug waren wir kaum aus den Wolken gekommen. Bei Landung an dem kleinen Flughafen waren wir gefühlt noch mitten in den Wolken, während das Fahrwerk schon aufsetzte.

Nach Abholung durch die Mietwagenfirma zu deren Filiale und zeitnaher Bereitstellung des Gefährts immerhalb weniger Minuten, fuhren wir die bergigen Straßen nach Sao Bento weiter. Entlang herrlicher Serptentinen mit tollem Ausblick über die ganze Landschaft fuhren wir durch die Berge hinauf auf bis zu 1000 Höhenmetern. Der Nebel war teilweise so dicht, dass man keine hundert Meter weit schauen konnte.

Die kleine verschlafene Stadt Sao Bento liegt mitten in den Bergen, von dort fuhren nur zwei bedeutende Straßen weg. Eine nach Joinville, die andere nach Curitiba. Nach Aussagen der Bevölkerung ist gerade eine (andere) aufgrund von Erdrutschen gesperrt bzw. einfach weg. Auch auf den anderen Straßen gab es Stellen wo zwar das nötigste geräumt war, aber zweifelsfrei mal große Teile des Hangs auf die Straße gespült waren. Unser Hotel mit deutschsprachigem Receiptionist lag auf einer Anhöhe mit Ausblick auf ein Tal. Abends hüllte sich der Hügel in eine Wolke aus Nebel.

Wir wurden nach einer Rundfahrt und Besichtigung durchs Gelände abends durch bekannte zweiten Grades zu einem leckeren Abendessen mit gewaltig viel Fleisch, Salat, Bier und Foto schauen eingeladen. Ein komplett deutschsprachiger Abend mit viel Erfahrungs- und Eindrucksaustausch nahm seinen Lauf. Das war eine wirklich überraschende und interessante Erfahrung, keiner von uns hätte während dieser Reise nach nunmehr fast 2 Wochen nur portugiesischer Sprache nochmal erwartet auf Brasilianer mit so hochwertigem Deutsch zu treffen. Auch die Gastfreundschaft sucht seinesgleichen.

Wir wurden nach den weiteren Reiseplänen gefragt, holten uns Tipps und vermittelten sogar noch die überzählligen Tickets fürs Spiel in Porto Alegre. Außerdem wurden wir fürs jährliche “Stammtisch”-Fest eingeladen, was am nächsten Tag auf dem zentralen Platz stattfinden sollte. Zum Abschluss und zur Feier des Abends wurde eine Flasche Rotwein geöffnet, die für die Rückkehr von einem aus unserer Gruppe (der diese netten Menschen über eine Verwandtschaft kannte) aufgehoben wurde und zwar mehrere Jahrzehnte. Ein scheußlicheres Gesöff, von dem wir und jeder sonst auch nur den symbolischen Schluck genommen hatte. Der Wein war verdorben, aber die schöne Kiste, Flasche und Aktion reichen um der Symbolik zu genügen.