Der Zug kam pünktlich und hielt die planmäßigen etwa 50 Minuten am Bahnsteig. Zeit genug, um unser Abteil zu suchen und schonmal für die Nachtruhe vorzubereiten. Eine korpulente aber unfreundlich drein blickende Bahnbedienstete in roter Uniform reichte uns auch bald nach Abfahrt die ersehnte Bettwäsche.
Wir hatten das Abteil quasi allein für uns. Unser einziger Mitreisender in einem der oberen Betten hatte alles Hab und Gut bei seiner Familie nebenan untergebracht, ansonsten blieb das vierte Bett frei. Nach einer unruhigen Fahrt aufgewacht, rollte der Zug gerade durch die Taiga. Viele Nadelbaumwälder und immer wieder Birken, Birken, Birken. Die Landschaft war hier sehr bergig.
Durch die Zeitverschiebung wachten wir erst Mittags auf, was sich allerdings wie morgens anfühlte. So lehnten wir unwissend das angebotene Mittagessen ab, obwohl dies im Preis inklusive gewesen wäre. Wir hatten ja selbst ausreichend vorgesorgt. Ein insgesamt ereignisloser Tag ging im Zug daher, lesen, schreiben und aus dem Fenster schauen, mehr war heute nicht drin.
Allgemein war die Fahrt in der zweiten Klasse nicht nur aufgrund fehlender Gesellschaft durch andere Bahnreisende eine relative Enttäuschung. Obwohl der Komfort wohl etwas gehoben und beispielsweise die sanitären Anlagen in etwas gepflegterem Zustand waren, so fehlte doch irgendwie etwas. Beim Studium des Reiseführers zeigte sich, dass die Vorzüge der Platzkartenklasse in selbigem dar nicht so recht beleuchtet wurden. Über fehlende Hygiene konnte ich mich dort nicht beschweren, ebensowenig über fehlende Privatsphäre. Wem es zuviel ist, sich gesellschaftlich mit der heimischen Bevölkerung zu arrangieren oder sich auf die Farbe der Unterwäsche schauen zu lassen, für den ist die Fahrt in der zweiten oder gar ersten Klasse (die kenne ich von einer anderen Fahrt) genau das richtige. Wer aber Lust hat, Land und Leute näher kennen zu lernen und sich nicht auf einer gefühlt geführten Reise zu befinden, der ist in der Platzkartenklasse richtig aufgehoben.
Der Zug hatte die gleiche Nummer wie der, der uns zuvor nach Novosibirsk gebracht hatte: Zug 70, von Moskau nach Chita. Auch dieser hielt an vielen Unterwegsbahnhöfen immer mal wieder für wenige Minuten, lediglich an den bedeutenderen Städten wurden längere Aufenthalte von mehr als 25 Minuten fällig. Bei Kranojarsk hatten wir einen längeren Stopp und noch Hoffnung dass bei dem einzig etwas längerem Halt heute auf dem Bahnsteig was verkauft werden würde. Leider Fehlanzeige, keine Omas mit Früchtchen oder Fisch zu erkennen. So naschten wir all unser verbliebenes Essen zu Abend und nächtigten alsbald für die frühe Ankunft in Irkutsk.