Rio de Janeiro | Deutschland – Argentinien

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Heute war es soweit. Es war angerichtet, der große Tag war da. Die Band stand bereit, die Instrumente waren geputzt, es musste nur noch zum großen Tanz gebeten werden. Nunja, ganz so leicht war es dann doch nicht. Zwischen die Eurphorie legte sich auch immer mal wieder die Sorge, was passiert wenn. Verlieren wäre nicht tragisch, aber dennoch muss man doch endlich mal diesem Fluch des ewigen Zweiten, Dritten ablegen. Die “goldene Generation” wie sie oft genannt wurde, musste doch mal endlich die Krone bekommen. Wir sind einfach dran!

Nervosität hatte sich schon längst breit gemacht und paarte sich mit Anspannung. Wir rollten durch Itaipava, die Serpentien, trotz der Autogeräusche, absolute Stille. Es war in diesen Momenten alles gesagt oder nichts weiter hinzuzufügen. Wie relativ die Wahrnehmung der Zeit ist, merkt man wohl erst in solchen Augenlicken. Endlosigkeit schien sich zwischen uns und Rio auszubreiten.

Zielstrebig erreichten wir die Abholstelle für unsere Tickets und fanden einen Halteplatz in direkter Entfernung zum Hoteleingang. Von dort fuhren wir auch direkt weiter zum Maracana. Die Straße von unserem viertelfinalparkplatz war diesmal abgesperrt. Allgemein lief heute einiges anders als an den anderen Spieltagen. Die Sicherheitsapparate waren deutlich mehr aufgerüstet worden. Man hatte sogar Teile der Armee zur Sicherung der Straßen vom stadion und anderen Zufahrten herangezogen. Einen Menschen mit Hirn und einwenig Fußballsachverstand mag es fragwürdig erscheinen, wozu man einen Armeejeep mit aufgebocktem MG wohl heute gebrauchten könnte, aber schließlich ist das hier immernoch ein anderes Land. Vom Parkplatz weg führte und der Weg vorbei an Straßen-Cafes, Tankstellen, einiger Absperrungen, gepanzerten Fahrzeugen und Militärpolizisten mit Pumpguns und Nebel-Tränengaswerfern. Also normaler Bundesliga-Auswärts-Alltag wenn gerade mal wieder irgendwo Wahlkampf ist und sich der Herr des Innenministeriums noch etwas profilieren muss.

Dort, an einer der Absperrungen turnte der Obdachlose Deutsche herum, den wir zum Frankreich-Spiel schon auf dem Polizeirevier gesehen hatten. Er versuchte Leute dazu zu bringen, mitgenommen zu werden, durch Schmuggeln mit Eintrittskarten. Offenbar war sein Problem mit der Aufenthaltserlaubnis entweder erledigt oder gerade nicht so wichtig. Es war Finale, wer kann es ihm verdenken?

Wir bahnten uns unseren Weg durch die ersten Kontrollen, während man bei anderen Spielen nach mit irgendwelchen Tickets dort vorbeigekommen wäre: Heute wollten es die absperrenden Polizisten und allerhand anderer FIFA-Lakaien ganz genau wissen. So langsam machte sich die Anspannung dann auch in einigen Muskelfunktionen bemerkbar, ein leichtes Zittern an den Fingerspitzen war nun mein ständiger Begleiter. Der Weg bis zum stadioneingang schien schier endlos, man konnte das Kribbeln spüren und der Blick auf andere Menschen intensivierte sich, die sich dort am Eingang versammelten. Deutsche, Argentinier, Brasis, Brasis in deutschen Trikots. Immer öfter hörte man Gesänge, das einhellige Argentinier-Lied zum Beispiel, dann mal wieder was von den Brasis als Konter und n bisschen Schland-Schland hier und da.

die Abschlusszeremonie lief schon, aber ich streunerte noch einwenig umher. Das ganze Spektakel fand wie in einer weit entfernten Welt statt. Es müssen schon komische Fußballfans sein, die sich jetzt so einen Zirkus geben. Nichtmal das Stadionbier, mein erstes wirklich bezahltes Bier innerhalb eines Stadions während dieses Turniers käuflich erworbene Plörre worrte so richtig schmecken. Gefühlt die Hälfte davon schüttete ich in einen Mülleimer, da wollte einfach nicht mehr runter gehen. Ich traf mich noch mit verschiedenen Leuten, deren Aufenthalt mir beim Fußball immer sehr angenehm ist. Auch wenn wir Spiele dieser WM von unterschiedlichen Positionen aus geschaut haben, so ist es doch etwas anderes, eine vertraute Seele anwesend zu wissen, die da irgendwo genauso mitfiebert, feiert, leidet, hofft und bangt, als wenn es alles nur fremde Menschen wären. Während wir uns unterhielten, lief uns sogar zufällig unser alter Chemie-Lehrer aus der Schule über den Weg, wie klein die welt doch ist.

Voller Stolz und Zuversicht wurde zum Start des Spiels erneut das Lied der Deutschen gesungen, anschließend lauschten wir dem Klang der argentinischen Hymne. Der Anpfif war eine Art Befreiung, ähnlich wie bei einem Fallschirmsprung oder beim Bungee, pures Adrenalin, ab jetzt tickte die Uhr rückwärts.

In diesem Fußballspiel erlebten wir alle Arten emotionaler Extreme. Das zum Glück anerkannte Abseits beim Argentinientor brachte erstmal einen riesigen Schock, denn zu diesem Zeitpunkt wäre dieser Treffer nicht unverdient gewesen. Das Spiel wurde zunehmend zäher und meine erhofften schnellen zwei Tore erfüllten sich nicht. Dafr aber schienen die Deutschen ab der Halbzeit das Spiel komplett unter Kontrolle zu haben, die Argentinier im Sack, aber ein Tor fehlte vergebens. Bereits zu Ende der regulären Spielzeit pfiffen die Gauchos aus den letzten Löchern und bei jedem Foul sprang die komplette deutsche Bank auf, unglaublich dieser Siegeswille. Dann endlich versenkte Götze die Pille, Ekstase pur. Ein Traum, was für ein Torjubel!

Die verbleibenden Minuten wurden runtergespielt, ständig zwischen Hoffnung und Bangen dass die Mannschaft konzentriert dran blieb. Nach einer endlos nachgespielten Nachspielzeit dann der erlösende Abpfiff!

Und was leider folgte, die ein vielen anderen Stadien schon erlebt, Events, Partymusik dröhnte aus den Lautsprechern dieser für mich hässlichen Arena. Jeder Versuch des Deutschen Blocks, die Zeremonie fußballgerecht zu feiern, wurde in lauter Ballermann-Manie erstickt. Einzig bei “Tage wie dieser” bewies der Medienregisseur etwas Weitsicht und drehte runter. Obwohl ich dieses Lied überhaupt nicht abkann, nahm ich dies als Abschluss eines sportlich großartigen Abends wohlwollend hin und sang mit.. Und kein Ende in Sicht!